Mittwoch, 8. August 2012

Schweden 2012 - Kungsleden Katastrophentag 2

Wanderfreier Tag in Sälka

Das Wetter legt schon mal den Grundstein für den morgigen Katastrophentag - es regnet wie aus Kübeln und das ununterbrochen und Tag und Nacht.
 Noch sind wir froh, bei diesem Wetter nicht weiter gewandert zu sein und legen einen Waschtag am Fluss ein... natürlich mit ökologischer Seife...

 Wenige Zelter versuchen noch dem Wetter zu trotzen ... nur um mitten in der Nacht fluchtartig ihren mittlerweile überfluteten Platz zu verlassen und unter dem Dachvorsprung der Hütte ihr Zelt aufzuschlagen

 Heute ist außerdem Sauna- und Badetag angesagt (übrigens der einzige auf der ganzen Tour, in Ermangelung an Möglichkeiten)

 Noch glaubt meine Freundin mir nicht, dass der "Nackedei-Fluß" im Vergleich zu gestern ein wenig angestiegen ist...

 

5. Etappe - "Day of doom no. 2" - Von Sälka nach Singi

Nach einer komplett verregneten Nacht, entscheiden wir uns schweren Herzens im strömenden Regen aufzubrechen ... wir sind hochmotiviert und starten um 7 Uhr noch vor allen Anderen

 An dieser Stelle hätte uns schon auffallen sollen, dass die Flüsse heute extrem angeschwollen sind ... zu allem Überfluß herrscht heute schon den zweiten Tag in Folge Dauerregen - das sollte uns eigentlich stutzig machen


 Die ersten paar Kilometer laufen wie am Schnürchen... bis wir einen tiefen Bach ein paar Kilometer hinunterlaufen müssen, bis wir eine Stelle finden, die wir unter größtem Kraft- und Nervenaufwand gerade so überspringen können

 ... Bei diesem Anblick fährt unsere Laune schlagartig komplett in den Keller ... die Brücke hat's wohl über Nacht weggerissen ... und hier in der Wildnis ist das noch keinem aufgefallen - dazu muss man sagen, die Schweden bauen nur an absolut notwendigen Stellen Brücken und hier hat der Fluß eine tiefe Rinne in der Mitte und ist ziemlich reißend - wir laufen eine Stunde stromaufwärts um eine geeignete Furt zu finden - aussichtslos - der Bach wird nur breiter, aber nicht weniger tief oder reißend - man kommt zwar bis zur Hälfte über Steine, doch dahinter würde man fast bis zum Hals im reißenden Wasser stehen - wir sind ratlos. Daraufhin laufen wir fast bis zur Hütte zurück - gut, dass wir extra um 6 aufgestanden sind! Wir treffen zwei Schweden, die erfahrener sind und schließen uns ihnen an. Das bedeutet wieder über den tiefen Bach springen und eine Stunde lang stromaufwärts laufen, bis auch die Schweden zu dem Entschluss kommen, dass man den Fluß hier nicht furten kann. Danach geht es über das abwechselnd moorige und felsige Gelände flussabwärts, bis wir an die Mündung kommen. Hier versucht der Schwede mehrfach den Fluss zu furten, kehrt jedoch immer wieder zurück mit den Worten "too dangerous". Super. Wir sehen uns schon den ganzen Weg Richtung Abisko zurücklaufen - noch mal über den Pass und die ganzen Schneefelder. 
Nach etlichen weiteren Versuchen findet der Schwede eine Stelle, an der man unter Aufbringen seiner gesamten Kraft und unter Einsatz seines Lebens furten kann. Uns rutscht das Herz in die Hose ... das reißende Wasser umspült teilweise beide Beine und beide Stöcke und wir haben uns innerlich schon von unserem Rucksack samt Kamera-Ausrüstung und eigentlich auch schon von unserem Leben verabschiedet. Uns ist klar, sobald wir weggerissen werden, wird der Rucksack abgestreift... angesicht unserer teuren Spiegelreflexkameras nicht gerade ein erheiternder Gedanke, aber man hängt ja an seinem Leben... 
Als wir später Abends an der Singi-Hütte ankommen, melden wir die weggerissene Brücke. Die Polizei fliegt sofort mit dem Helikopter zu der Stelle, um dann zu verkünden, dass die Furt, die wir noch gemacht haben, mittlerweile absolut lebensgefährlich ist und sperrt den Kungsleden. Wir waren also unter den Letzten, die diese Furt noch machen durften... Wer weiß, wann der Weg wieder geöffnet wird... heute findet auch noch ein Fjällraven-Lauf statt, der kurzerhand abgeblasen werden muss. Die Läufer müssen mit dem Helikopter aus dem Gebiet ausgeflogen werden...

 Die einzige Möglichkeit zu furten - nach uns kommt noch eine Gruppe Wanderer und eine Großfamilie mit Zehnjährigem und Großvater, die eine lange Kette bilden und den Fluss queren, dabei aber mittlerweile teilweise bis zum Bauch bzw. im Falle des Kindes bis zum Hals im Wasser stehen.


 Gestikulierend versucht man der Gruppe klar zu machen, dass sie ihre Rucksackschnallen öffnen sollen...

Danach denken wir es könne nicht mehr schlimmer kommen, aber das ist weit gefehlt ... am heutigen Tag sind die Flüsse teilweise vierfach so hoch wie sonst, sodass selbst einfache Furten reißend werden... und dazu regnet es ununterbroch weiter aus Kübeln... Es folgen natürlich noch etliche weitere Furten, die uns dem Tod ins Auge blicken lassen. Bei einer Furt klammere ich mich so verzweifelt an meinen Stöcken fest, dass ich hinterher ein verdrehtes Handgelenk habe. Man steht immer weit über den Knien im Wasser ... und es folgen noch weitere Brücken, die fehlen, oder komplett überspült sind. Drei mal mehr haben wir Todesangst. Ein weiterer breiter, reißender Fluss muss gefurtet werden. Danach folgt eine überspülte Brücke. Der Schwede meint, wir sollen versuchen auf der Brücke den Fluß zu furten im Krebsschritt - allerdings steht man auch auf der Brücke sehr tief im Wasser und zu allem Überfluss besteht die "Brücke" aus drei dünnen Metallstangen. Wir passieren diesen Fluss links neben der Brücke - fast bis zur Hüfte im reißenden Strom. Wenn wir hier weggerissen werden, knallen wir als erstes gegen die Eisenstangen. Ein beruhigender Gedanke. Die letzte heikle Furt (gefurtet haben wir bestimmt 20 Mal an dem Tag, aber nicht alle Furten verlangten den Einsatz unseres Lebens) ist zwar nur ein kleiner Bach, der allerdings in der Mitte eine gefährlich tiefe Rinne hat und zudem keinen guten Zugang. Die Böschung fällt abrupt zum Bach hin ab quasi wie eine Steilklippe und das auf beiden Seiten, sodass man sich in die Strömung stürzen muss. Aber auch dieses halsbrecherische Manöver überleben wir mysteriöserweise ... heute sind wir mindestens drei Jahre gealtert...

 Die zweite der heikleren Furten. Von den restlichen Furten besitzen wir leider keine Fotos, da wir uns von der Kamera ja ohnehin schon innerlich verabschiedet hatten...

 Zur Abwechslung gibt's hier mal eine Brücke ... denn wir wissen ja: türkis und weiß ist nicht gut ...


 Diese umspülte Brücke ist im Angesicht der halsbrecherischen Furten, die wir schon hinter uns haben, Kinderkram.


 Voller Begeisterung fotografiere ich eine der seltenen Brücken auf dieser Etappe, die noch vorhanden ist.


Kurz vor der Singi-Hütte lauert noch mal eine gefährliche Furt und dann haben wir's geschafft. Wir sind völlig abgekämpft und triefen... in den Stiefeln steht Wasser und unsere Sachen werden die nächsten drei Tage nicht mehr trocken, was ein Furunkel an meinem Fuß hervorruft, verursacht durch dauernasse Wanderschuhe. Der größte Witz kommt aber noch: als wir die Wirtin nach einem Trockenraum fragen, zeigt sie peinlich berührt lächelnd auf eine Hütte, die komplett von Wasser umspült auf einer Insel liegt. Wenn wir hier unsere Wanderschuhe trocknen wollten, müssten wir barfuß zurück durch eine reißende Furt. Nein danke. Außerdem ist die Singi-Hütte nicht proviantiert und wir haben langsam kein Essen mehr. Das heißt, wir müssen morgen weiter wandern. Die Schweden behaupten zwar standfest, die Flüsse sollten morgen abschwellen, aber es regnet die ganze Nacht unentwegt. Wir überlegen uns, dass wir das Schicksal schon genug auf die Probe gestellt haben und ziehen ernsthaft in Erwägung, uns mit dem Helikopter nach Kebnekaise bringen zu lassen.

1 Kommentar:

  1. schon sehr beeindruckend, wie anders diese gegend nach sintflutartigen regenfällen ausschaut. ich bin ja heilfroh, dass sich im september sowohl regen als auch schnee deutlich zurückgehalten haben. respekt, auch für den pointierten schreibstil ;)

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